Zelten? Zelten!

Hela erklärt die Welt

Hela ist 3 und hat das Angelman Syndrom. Während gleichaltrige durch die Spielwiesen hopsen, widmet sie sich lieber scharfsinnigen Beobachtungen und stellt sich unerschrocken diversen Fragen philosophischer Natur. Könnte sie sprechen, würde sie möglicherweise das hier sagen…

Zelten mit Kind

Jack – mein besonderer Freund

Als Kind mit Angelman Syndrom weiß man oft auf Anhieb, dass etwas eine wirklich schlechte Idee ist – dazu fallen mir solche Beispiele ein wie Zähneputzen, eine ganze Stunde ohne Mama oder auch das Tragen von Mützen. Bei anderen Sachen hingegen ist es so, dass man sie sieht und noch bevor man so richtig weiß, wozu die gut sind, spürt man schon tief in seinem Inneren, dass sie eine außerordentlich gute Idee sind. Erwachsene nennen das Liebe auf den ersten Blick, ich nenne das Angelman-Pragmatismus. Genau das Gefühl hatte ich, als ich Jack zum ersten Mal gesehen habe.

Jack sieht wie ein rüssel- und beinloser Elefant aus: er ist grau, rundlich und einfach riesig. Sein Äußeres lässt aber seine wahren Qualitäten nicht erahnen. Denn im Inneren ist Jack kuschelweich und gemütlich, verleiht einem sofort das Gefühl der Geborgenheit und bietet gleichzeitig fantastische Licht- und Geräuschspiele. Jack ist ein Zelt – aber in den vergangenen 8 Tagen ist er für mich viel mehr als das geworden.

Jack und ich sind ein Beispiel, dass Vieles möglich ist, was man nicht für möglich hält. Denn Angelman Syndrom und ein Zelt sind keine offensichtliche Kombination. Zelten dienen ja hauptsächlich zum Schlafen und Schlafen ist bei uns Angels so ´ne Sache. Wenn ihr mich fragt, schlafe ich wirklich gerne – sofern man mich lässt. Nur nachts kann man sich darauf wirklich schlecht konzentrieren. Da gibt es so viele Störfaktoren, die einen immer wieder aus dem Schlaf reißen: Die Spinnen stampfen zu laut mit ihren langen Füssen, der Nachbar drei Straßen weiter hat einen Niesanfall, Mama und Papa atmen und erzeugen so kleine Windböen, die durch das ganze Haus ziehen, ein Schmetterling schlägt mit seinen Flügeln in China… Und natürlich nicht zu vergessen: die Mondphasen. Bei Vollmond, Neumond sowie bei zunehmendem und abnehmendem Mond kann ich einfach sehr schlecht schlafen. So. Und jetzt könnt ihr euch vorstellen, dass ich mir im Urlaub nicht unbedingt Jack als den idealen Schlafpartner wählen würde. Aber wir haben es gewagt.  Im Obstgarten von Oma und Opa, sodass man zu Not auch auf das Haus ausweichen könnte und dass man nicht gleich ganz viele Zeltplatzmitbewohner um sich herum hatte.

Zelten mit Kind

Jack hat auch viele andere Freunde

Was soll ich sagen: es war toll! Die Nächte waren sommerlich warm, der Himmel sternenbedeckt. Wir haben alle vier nebeneinander geschlafen: Mama, Papa ich und mein Bruder. Wie auch immer man sich da gedreht hat, ist man auf etwas Kuscheliges gestoßen: Mama oder auch die weiche Zeltwand. Nach den intensiven Tagen mit Planschen und Quatschmachen im Freien war ich so müde, dass ich nachts auch trotz des Feueralarms der benachbarten Feuerwache weiter geschlafen habe. Zuhause undenkbar!

Über uns war ein großer Kirschbaum, dessen Blätter tagsüber quirlige Schatten auf die Decke geworfen haben. An den Wänden vom Zelt kann man sehr gut kratzen, dann gibt es lustige Geräusche. Man kann sich auch gegen die Wände schmeißen, dann sind sie fast wie ein Trampolin für den Rücken. Herunterfallen kann man nicht. Einfach herrlich so ein Jack! Einfach herrlich! Nächstes Jahr sehen wir uns vielleicht wieder, bis dahin werde ich an ihn denken – nachts, wenn etwas wieder meine Nachtruhe stört.

Wiesenlandschaft

Wiesenlandschaft unweit unseres Zeltes.

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